Es ist kein Geheimnis, dass die COVID-19-Pandemie die Art und Weise, wie wir in diesem Land arbeiten, von Grund auf verändert hat, und viele Unternehmen quasi über Nacht vom Büro- auf den Home-Office-Betrieb umgeschaltet haben. Hinzu kamen 2020 die Einführung des „Coronavirus Job Retention Scheme“ (Urlaubsprogramm für Angestellte im Vereinigten Königreich) und die Herausforderung, Job und Distanzunterricht unter einen Hut zu bekommen, sodass viele Arbeitgeber geradezu gezwungen waren, flexible Arbeitszeitmodelle einzuführen.
Dieser plötzliche Wandel hin zum Homeoffice mit zunehmendem hybriden Arbeiten führte zu einer Neubelebung des Dialogs rund um die Work-Life-Balance und die Hinterfragung der „klassischen Arbeitswoche“ seitens der Unternehmen.
Die Fünf-Tage-Woche ist eine gesellschaftliche Norm, die auch im Vereinigten Königreich fest etabliert ist. Aber ist es nach mehr als einem Jahr voller Veränderungen nicht an der Zeit, diese Norm zu hinterfragen? Und wenn ja: Wäre der unternehmerische Erfolg trotzdem sichergestellt? Oder würde die Produktivität darunter leiden?
Wir haben unsere Follower:innen auf LinkedIn gefragt: „Würden Sie in Betracht ziehen, die Arbeitszeiten in Ihrem Unternehmen auf eine Vier-Tage-Woche umzustellen?“ Von den 919 Befragten antworteten 50 Prozent mit „Ja, aber mit gleicher Stundenzahl“, 33 Prozent mit „Ja, aber mit reduzierter Stundenzahl“ und 12 Prozent mit „Nein“. 6 Prozent der Befragten gaben an, die Umstellung möglicherweise zu einem anderen Zeitpunkt in Betracht zu ziehen.
Angesichts von 83 Prozent Befürwortung für eine Vier-Tage-Woche gibt es zahlreiche Überlegungen, die Unternehmen anstellen sollten, um zu entscheiden, ob eine solche Umstellung für sie infrage kommt.
Was spricht für eine Vier-Tage-Woche?
Unter „Vier-Tage-Woche“ kann man zweierlei verstehen: zum einen die Verteilung der Arbeitsstunden einer Vollzeitstelle (i. d. R sind das 35 Stunden) auf vier Arbeitstage; zum anderen die Reduzierung der Arbeitsstunden (meist auf 28 Stunden), ebenfalls verteilt auf vier Tage, sodass die Arbeitnehmer:innen drei Ruhetage erhalten.
Viele argumentieren, dass die Fünf-Tage-Woche zwar im 19. Jahrhundert ein effektives Arbeitsmodell darstellte, aber gemessen an den Bedürfnissen heutiger Fachkräfte weit überholt ist.
Aufgrund des technologischen Fortschritts lassen sich viele alltägliche Aufgaben im Job wesentlich zeiteffizienter erledigen. Auch angesichts der Zunahme an bürobasierten Tätigkeiten festigt sich das Argument, dass längere Arbeitszeiten nicht notwendigerweise größere Produktivität bedeuten.
Viele Länder weltweit – darunter Japan, Neuseeland, Spanien und zuletzt Island – haben mittlerweile erste Testphasen zu einer Vier-Tage-Woche durchgeführt, um deren Auswirkungen auf die Arbeitnehmer:innen untersuchen zu können.
Microsoft beispielsweise testete die Vier-Tage-Woche an seinen japanischen Bürostandorten und stellte fest, dass die verkürzte Arbeitswoche zu effizienteren Meetings, größerer Mitarbeiterzufriedenheit und einer Steigerung der Produktivität um stolze 40 Prozent führte. In ähnlicher Weise testete man dies in Island und beobachtete Angestellte in verschiedenen Bereichen des öffentlichen Dienstes, die eine reduzierte Stundenzahl leisteten. Die Untersuchungen waren derart erfolgreich, dass mittlerweile 86 Prozent der isländischen Arbeitnehmer:innen eine kürzere Arbeitswoche bei gleicher Bezahlung genießen.
Will Stronge, Director of Research des Beratungsunternehmens Autonomy, das sich für die Vier-Tage-Woche einsetzt, sagte dazu in einem Artikel für die BBC: „Das zeigt, dass der öffentliche Sektor bereit ist, Pionierarbeit für eine verkürzte Arbeitswoche zu leisten – und auch Erkenntnisse für andere Regierungen liefern kann.“
Auch im Vereinigten Königreich haben viele Unternehmen die Vier-Tage-Woche mittlerweile probeweise oder sogar permanent umgesetzt. Die in der Grafschaft Gloucestershire ansässige PR-Agentur Radioactive Public Relations führte den Versuch über sechs Monate hinweg durch und stellte fest, dass der Umsatz des Unternehmens sogar stieg und die Mitarbeitenden 50 Prozent weniger Krankentage in Anspruch nahmen.
Welche Vorteile bietet die Vier-Tage-Woche?
In großen wie auch kleinen Unternehmen, die die Vier-Tage-Woche versuchsweise einführten, findet sich eine Evidenzbasis für die unternehmerischen Vorteile dieser Verkürzung.
Steigerung der Produktivität
Forschungen haben ergeben, dass eine geringere Stundenzahl die Produktivität der Mitarbeitenden steigert. Wer weniger Zeit am Arbeitsplatz verbringt, empfindet mehr Glück und Erfüllung und geht entsprechend konzentrierter an die eigenen Arbeitsaufgaben heran.
Bei Perpetual Guardian, einer neuseeländischen Fondsgesellschaft, führte die Vier-Tage-Woche nicht nur zu einer um 20 Prozent höheren Produktivität, sondern auch einer Steigerung der Work-Life-Balance von 54 auf 78 Prozent.
Schonung der Umwelt und Kosteneinsparungen
Eine kürzere Arbeitswoche bedeutet, dass Arbeitnehmer:innen weniger häufig den Arbeitsweg auf sich nehmen müssen und somit ihren CO2-Fußabdruck reduzieren.
Während der Pandemie wurde deutlich, dass Unternehmen, in denen immer an den gleichen vier Tagen gearbeitet wird, auch Betriebskosten sparen und in manchen Fällen sogar steuerliche Vorteile geltend machen können.
Mehr Mitarbeiterzufriedenheit, weniger Fehlzeiten
Laut der gemeinnützigen Organisation Mind, die sich für mentales Wohlbefinden einsetzt, leidet in England wöchentlich jede:r Sechste an einem der gängigsten psychischen Problemen und jede:r Fünfte gibt an, sich schon einmal krankgemeldet zu haben, um das Arbeitsumfeld zu meiden.
Durch die Vier-Tage-Woche haben Arbeitnehmer:innen mehr Zeit, sich auf ihre persönliche Entwicklung zu konzentrieren oder Zeit mit der Familie und Freunden zu verbringen. Das steigert nicht nur ihre Zufriedenheit, sondern kann auch dazu beitragen, das Risiko einer dauerhaften Erschöpfung (sog. „Burnout“) zu reduzieren, sodass sie im Beruflichen mehr Konzentration und Zufriedenheit zeigen.
Effektiveres Recruiting, höhere Mitarbeiterbindung
Das häufigere Arbeiten in hybrider Form und im Homeoffice während der Pandemie hat dazu geführt, dass sich viele Arbeitnehmer:innen mehr Flexibilität von ihrem Arbeitgeber wünschen.
Der britische Verband für Personalmanagementfachleute CIPD gibt an, dass eine Mehrheit der Arbeitnehmer:innen flexible Arbeitsmodelle mit einer besseren Lebensqualität assoziiert und 30 Prozent von einer positiven Wirkung auf die mentale Gesundheit ausgehen. Der Belegschaft und potenziellen Arbeitnehmer:innen flexible Arbeitsmodelle anzubieten kann sich also maßgeblich auf die Mitarbeiterbindung und die Talentgewinnung auswirken.
Welche Nachteile hat die Vier-Tage-Woche?
Neben ihren Vorzügen birgt die Vier-Tage-Woche auch gewisse Nachteile:
„Eine Vier-Tage-Woche ist praktisch nicht umsetzbar, weil noch mehr Schichten besetzt werden müssten, während wir ohnehin schon mit einem Personalmangel zu kämpfen haben.“
Nicht für jede Branche geeignet
Leider ist das Vier-Tage-Modell nicht in jeder Branche umsetzbar. Je nach Geschäftsmodell oder auch Berufsfeld kann die Anwesenheit von Mitarbeitenden rund um die Uhr erforderlich sein – was eine verkürzte Arbeitswoche nicht nur schwieriger macht, sondern in manchen Fällen auch das Arbeiten verzögern und längere Vorlaufzeiten verursachen kann.
Eine Pflegefachkraft, die anonym bleiben möchte, äußerte ihre Bedenken zu einer Vier-Tage-Woche im Gesundheitswesen folgendermaßen: „Als Pflegefachfrau in der Notaufnahme ist die Vier-Tage-Woche für mich praktisch nicht umsetzbar. Wir arbeiten aktuell in Schichten von mindestens zwölf Stunden, um vier freie Tage zu haben. Das finde ich für meine Work-Life-Balance besser. Ich weiß, dass eine Vier-Tage-Woche für einige meiner Kolleg:innen, die auf Kinderbetreuung angewiesen sind, besser wäre. Aber kürzere, regelmäßigere Schichten, die wir über vier Tage verteilt leisten müssten, würden nicht funktionieren, weil noch mehr Schichten besetzt werden müssten, während wir ohnehin schon mit einem Personalmangel zu kämpfen haben.“
Ungenutzte Arbeitskraft
Die Vier-Tage-Woche ist nicht für jede:n etwas – manche Arbeitnehmer:innen bevorzugen die Struktur einer fünftägigen Arbeitswoche oder möchten mehr Arbeitsstunden leisten, als in einer Vier-Tage-Woche untergebracht werden können.
Genauso gibt es berufsspezifische Aufgaben, die einfach mehr Zeit als andere erfordern und nur durch die Vergütung von Überstunden oder die Beschäftigung zusätzlichen Personals zum Ausgleich des Defizits zu bewältigen wären (wie dies etwa in der Studie in Island im Gesundheitswesen der Fall war). Es stellt sich hier also die Kostenfrage.
Schlussgedanke: Sollte Ihr Unternehmen eine Vier-Tage-Woche einführen?
Obwohl das Modell der verkürzten Arbeitswoche schon in vielen europäischen Ländern Fuß fassen konnte und bisher auch in einigen Unternehmen im Vereinigten Königreich Erfolge verzeichnen konnte, handelt es sich doch um einen relativ extremen Ansatz. Er erfordert ein grundsätzliches Umdenken auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite, um in der Praxis zu funktionieren, und mag letztlich nicht der richtige Weg für alle sein.
Auch wenn Flexibilität bei den Arbeitszeiten mittlerweile von den Arbeitnehmer:innen erwartet wird, könnte der Prozess mit hybriden Arbeitsmodellen oder flexibler Arbeitszeiteinteilung zunächst weniger disruptiv gestaltet werden.
Ebenso mag die Vier-Tage-Woche, wie oben erwähnt, in manchen Branchen einfach nicht funktionieren. Durch Studien und Forschungsdaten ist inzwischen allerdings belegt, dass Organisationen, die einen stärkeren Fokus auf die Aufrechterhaltung des Wohlbefindens legen, entsprechende Vorteile bei der Motivation, Arbeitsmoral und Produktivität ihres Personals genießen.